Wenn eine Behörde die Herausgabe von Informationen verweigert, um die Beziehungen zu anderen Bundesländern oder zum Bund nicht zu gefährden, muss sie konkrete Anhaltspunkte für die drohenden interföderalen Verstimmungen vortragen. Die Anforderungen an diese Ausnahme von der Informationsfreiheit hat das Verwaltungsgericht Hamburg in einem aktuellen Urteil nun deutlich verschärft und seine frühere Rechtsprechung, die schon vage Befürchtungen genügen ließ, aufgegeben.
Anlass des Verfahrens war der Fall eines Antragstellers gewesen, der bei der Behörde für Justiz und Verbraucherschutz (BJV) Zugang zu Berichten zweier Arbeitsgruppen der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister (JuMiKo) beantragt hatte. Die BJV fragte daraufhin die Justizministerien anderer Länder, ob gegen eine Herausgabe der Dokumente Bedenken bestünden. Bayern und Hessen teilten mit, dass die Unterlagen „aus den bekannten Gründen“ nicht offengelegt werden sollten. Unter Verweis darauf lehnte die BJV den Auskunftsantrag ab. Sie berief sich auf § 6 Abs. 3 Nr. 1 Hamburgisches Transparenzgesetz (HmbTG), wonach solche Informationen von der Informationspflicht ausgenommen sind, deren Bekanntmachung die Beziehungen zum Bund oder zu einem Land nicht unerheblich gefährden würde. Es stehe zu befürchten, dass Hamburg vom Informationsfluss zwischen den Ländern abgeschnitten würde und die künftige Mitarbeit in den Arbeitsgruppen der JuMiKo gefährdet sei, wenn Unterlagen gegen den ausdrücklichen Widerspruch anderer Länder herausgegeben würden.
Diese Entscheidung erklärte das Verwaltungsgericht nun für rechtswidrig. Die Ausnahme greife nach Auffassung des Gerichts nur, wenn im konkreten Einzelfall eine Offenlegung von Dokumenten die Beziehungen zu Bund und Ländern erheblich gefährden würde. Für eine solche Gefährdung fehlten hier aber die Anhaltspunkte.
Das Verwaltungsgericht ändert damit seine Rechtsprechung aus dem Jahr 2018. Damals hatte das Gericht aus dem Prinzip der Autonomie der Gliedstaaten und dem Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens abgeleitet, dass allein der Widerspruch eines anderen Bundeslandes gegen die Herausgabe von Informationen genüge, solange dieser auf der Grundlage einer „seriösen“ Befassung – also nicht aus vorgeschobenen oder offenkundig unsachlichen Gründen – erhoben worden sei. Bei Missachtung dieses Widerspruchs werde nämlich das Hamburgische Landesrecht unter Verstoß gegen die Gesetzgebungskompetenz auf ein anderes Land erstreckt. Dies stelle stets eine erhebliche Belastung des Verhältnisses zwischen Hamburg und dem betroffenen anderen Land dar.
Eine solch pauschale Betrachtung genügt nach dem aktuellen Urteil nicht mehr. Das Gericht grenzt die einzelfallbezogene Ausnahme nach § 6 Abs. 3 Nr. 1 HmbTG deutlich gegen die abstrakt-generellen Bereichsausnahmen ab, wie sie in § 5 HmbTG geregelt sind (zum Beispiel zugunsten des Landesamts für Verfassungsschutz oder der Forschung). Da die Informationspflicht nach § 6 HmbTG nur aufgehoben sei, „soweit und solange“ eine Herausgabe von Dokumenten die Bund-Länder-Beziehungen gefährde, müsse im Umkehrschluss auch im Fall eines Widerspruchs genauer geprüft werden, ob es die Zusammenarbeit anderer Länder mit Hamburg tatsächlich gefährdet sei, wenn man sich über die Bedenken hinwegsetzen würde.
Das konnte das Gericht im vorliegenden Fall nicht erkennen. Die Unterlagen betrafen keine hochpolitischen, sensiblen oder eine breite Öffentlichkeit interessierenden Themen. Es könne auch nicht nachvollzogen werden, welche Länder in den Arbeitsgruppen welche Auffassungen vertreten haben, sodass keine Einzelperson auf dieser Grundlage in politische Bedrängnis kommen könne. Andere Interessen über eine allgemeine Vertraulichkeitserwartung hinaus konnte die BJV nicht vortragen.
Von der Gefahr eines Ausschlusses Hamburgs aus der JuMiKo zeigte sich das Verwaltungsgericht unbeeindruckt. Ein Präzedenzfall hierzu sei nicht bekannt und aus politischer Rücksichtnahme auf die betroffene Landesregierung allenfalls in besonderen Ausnahmefällen denkbar, nicht aber anlässlich einer gerichtlichen Verpflichtung zur Offenlegung von Informationen.
Der Hamburgische Beautragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (HmbBfDI) begrüßt diese Entscheidung. Mit ihr folgt das Verwaltungsgericht Hamburg einem Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf, das 2020 in einem Parallelverfahren ebenfalls betreffend Unterlagen der JuMiKo zu entscheiden hatte. Informationsfreiheit ist in Bund und Ländern inzwischen der Standard, nicht die Ausnahme. Allgemeine Vertraulichkeitserwartungen im interföderalen Austausch sind daher aus der Zeit gefallen. Wie das Verwaltungsgericht Hamburg nach Düsseldorfer Vorbild überzeugend herleitet, erfordert der Grundsatz der Bundestreue keine Rücksichtnahme auf ein nicht näher konkretisiertes Unwohlsein einzelner Länder mit der Veröffentlichung von Dokumenten. Stichhaltigen Bedenken gegen eine Offenlegung kann im Einzelfall entsprochen werden, wenn sie nachvollziehbar vorgetragen werden, sodass die Hamburger Behörden nicht schutzlos dastehen.
Aktuelles Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg: (Urt. v. 29.4.2024 – 17 K 2593/23)
Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg von 2018 (Urt. v. 28.8.2018 – 17 K 6863/16, juris Rn. 57)
Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf: (VG Düsseldorf, Urt. v. 23.11.2020 - 29 K 1634/19)