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Neuigkeiten zum Recht auf Vergessenwerden – aktuelle Entscheidungen von BGH und EUGH

Suchmaschinenleiste mit einem Finger, der auf Suchen drückt.Tumisu auf Pixabay

+++ Please find the English version below. +++

Wer seinen eigenen Namen über eine Suchmaschine aufruft, erlebt manchmal böse Überraschungen in Form von Fotos oder Einträgen über die eigene Person, die man auf keinen Fall im Internet verbreitet sehen möchte. Doch jede:r hat ein Recht auf Vergessenwerden und kann es geltend machen. Informationen über sich aus dem Internet entfernen zu lassen, ist auf zwei Wegen möglich: Durch Löschung auf der entsprechenden Website oder durch Entfernung der Inhalte aus der Suchmaschine. Sowohl der Bundesgerichtshof (BGH) als auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) haben sich dieses Jahr mit Löschungsansprüchen beschäftigt:

 

Aktuelle Entscheidungen: BGH und EUGH 2024 zum Recht auf Vergessenwerden

Im Fall eines Vereinsvorstandes, über den 20 Jahre nach dessen Ausscheiden aus dem Vorstand immer noch personenbezogene Daten im Online-Vereinsregister abrufbar waren, entschied der BGH im Juni 2024, dass die Abrufbarkeit 20 Jahre nach dessen Ausscheiden nicht mehr vom öffentlichen Informationsinteresse gedeckt ist. Der Registereintrag sei daher aus dem unbeschränkt zugänglichen Internetregister zu entfernen und dürfe nur im Falle der Darlegung eines berechtigten Interesses für Dritte bereitgestellt werden. 

Zur Veröffentlichung von Handelsregisterdaten entschied der EuGH im Oktober 2024, dass im Internet veröffentlichten personenbezogenen Daten, die nicht der handelsrechtlichen Offenlegungspflicht unterfallen, ein Löschungsanspruch besteht und Dokumente im Zweifel nur geschwärzt veröffentlicht werden dürfen.

 

Wann besteht ein Löschungsanspruch gegen eine Suchmaschine?

Wenn rechtsverletzende Inhalte auf einer Webseite selbst nicht entfernt werden, dürfte jedenfalls regelmäßig ein Auslistungsanspruch gegen die Suchmaschinenbetreiber:in bestehen, damit die Inhalte bei namensbezogener Suche nicht mehr auffindbar sind.

Seit die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) in Kraft getreten ist, hat jede Bürger:in Anspruch auf Löschung der im Internet über sie verbreiteten personenbezogenen Daten, es sei denn die Verarbeitung ist zur Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Information erforderlich. Auf der einen Seite stehen also die Grundrechte der betroffenen Person. Dem gegenüber stehen das öffentliche Informationsinteresse, Meinungsäußerungsfreiheit und gegebenenfalls Pressefreiheit der Inhalteanbieter:in sowie die unternehmerische Freiheit der Suchmaschinenbetreiber:in. Ein Anspruch auf Löschung besteht, wenn die Grundrechte der betroffenen Person überwiegen.

 

Was muss ich vortragen und nachweisen, um meine personenbezogenen Daten löschen zu lassen?

Vor Geltung der DSGVO hatte der BGH im Jahr 2018 entschieden, dass eine Suchmaschinenbetreiber:in erst dann ein Suchergebnis auslisten muss, wenn sie durch einen konkreten Hinweis Kenntnis von einer offensichtlichen und auf den ersten Blick klar erkennbaren Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der oder des Betroffenen durch den Inhalt eines Suchergebnisses erlangt hat. Unter Geltung der DSGVO sei, so der BGH im Jahr 2020, eine umfassende Grundrechtsabwägung durchzuführen.

Der EuGH hat im Jahr 2022 deutlich gemacht, was eine antragstellende Person vortragen muss, wenn sie sich durch ein Suchergebnis in ihren Grundrechten verletzt sieht, beispielsweise wenn darin unrichtige Angaben über sie enthalten sind. Der EuGH kommt zu dem Ergebnis, dass eine Suchmaschinenbetreiber:in (nur) dann zur Auslistung verpflichtet ist, wenn die antragstellende Person 

relevante und hinreichende Nachweise vorlegt, die ihren Antrag zu stützen vermögen und belegen, dass die in dem aufgelisteten Inhalt enthaltenen Informationen offensichtlich unrichtig sind oder zumindest ein für diesen gesamten Inhalt nicht unbedeutender Teil dieser Informationen offensichtlich unrichtig ist“.

Ein solcher Nachweis kann durch eine gerichtliche Entscheidung gegen die Webseitenbetreiber:in erbracht werden oder durch andere geeignete Nachweise, aus denen sich ergibt, dass Informationen offensichtlich unrichtig sind.

 

Was ist für die Abwägung wichtig?

Auch im Falle unrichtiger Angaben fällt jedoch die Grundrechtsabwägung nicht automatisch zugunsten der antragstellenden Person aus – insbesondere dann nicht, wenn der Beitrag zu einer Debatte von allgemeinem Interesse beitragen kann. Denn das Recht auf freie Meinungsäußerung und Information hat, so der EuGH, eine besondere Bedeutung.

Gegenüber Inhalteanbieter:innen differenziert die jüngere höchstrichterliche Rechtsprechung, etwa des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), und berücksichtigt auch die Möglichkeit, dass einzelne personenbezogene Angaben (zum Beispiel Namen) in online abrufbaren Presseberichten nachträglich geschwärzt werden müssen. Denn die Verbreitung und Auffindbarkeit von Informationen im Internet ist für Betroffene besonders belastend. Daher muss im Einzelfall und differenziert ermittelt werden, wie hoch das Informationsinteresse der Öffentlichkeit an einzelnen Angaben (noch) ist. Diese Erwägungen müssen auch Suchmaschinenbetreiber:innen berücksichtigen.

 

Wie mache ich einen Auslistungsanspruch geltend?

Am einfachsten können betroffene Personen den Löschungsanspruch über eigens hierfür bereitgestellte Online-Formulare der Suchmaschinenbetreiber:innen geltend machen, zum Beispiel https://reportcontent.google.com/forms/rtbf.

Über die Suchmaschinenbetreiberin Google übt der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (HmbBfDI) die datenschutzrechtliche Aufsicht aus.

 

Entscheidungen

BGH, Beschl. v. 04.06.2024 (II ZB 10/23, Rz. 39)

EuGH, Urt. v. 04.10.2024 (C-200/23)

BGH, Urt. v. 27.02.2018 (VI ZR 489/16, Rz. 36)

BGH, Urt. v. 27.07.2020 (VI ZR 405/18)

EuGH, Urt. v. 08.12.2022 (C-460/20)

EGMR, Urt. v. 04.07.2023 (57292/16)

 

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News about the right to be forgotten

 

Anyone who searches for their own name in a search engine sometimes experiences nasty surprises in the form of photos or entries about themselves that they would never want to see distributed on the internet. However, everyone has the right to be forgotten and can assert this right. There are two ways to remove information about yourself from the internet: by deleting it on the relevant website or by removing the content from the search engine. Both the German Federal Court of Justice (Bundesgerichtshof - BGH) and the European Court of Justice (CJEU) have dealt with claims for deletion this year:

 

Current decisions: BGH and CJEU 2024 on the right to be forgotten

In the case of a board member of an association, about whom personal data could still be accessed in the online association register 20 years after he left the board, the BGH ruled in June 2024 that 20 years after leaving the board, the retrievability of the data is no longer covered by the public interest in information. The register entry must therefore be removed from the publicly accessible internet register and may only be made available to third parties if a legitimate interest can be demonstrated.

In October 2024, the CJEU ruled on the publication of commercial register data, deciding that personal data published on the internet that is not subject to commercial disclosure requirements may be deleted and that, in case of doubt, documents may only be published in redacted form.

 

When can a claim for deletion be made against a search engine?

If infringing content is not removed from a website itself, there should in any case be a regular claim for de-listing against the search engine operator so that the content can no longer be found in name-based searches.

Since the General Data Protection Regulation (GDPR) came into force, every citizen has the right to have personal data relating to them that is disseminated on the internet deleted, unless the processing is necessary to exercise the right to freedom of expression and information. So on the one hand, we have the fundamental rights of the data subject. On the other hand, there is the public interest in information, freedom of expression and, where applicable, freedom of the press of the content providers, as well as the freedom to conduct a business of the search engine operators. A claim for deletion exists if the fundamental rights of the data subject outweigh the other interests.

 

What do I have to present and prove in order to have my personal data deleted?

Before the GDPR came into force, the Federal Court of Justice ruled in 2018 that a search engine operator is only required to remove a search result if it has become aware, through a specific notification, of an obvious and clearly recognizable violation of the general right of privacy of the person concerned by the content of a search result. According to the Federal Court of Justice in 2020, under the GDPR, a comprehensive consideration of fundamental rights must be carried out.

In 2022, the CJEU clarified what an applicant must present if they believe their fundamental rights have been violated by a search result, for example if it contains incorrect information about them. The CJEU concludes that a search engine operator is only obliged to de-list the content if the claimant

submits relevant and sufficient evidence to support his application and shows that the information contained in the listed content is manifestly inaccurate or, at least, that a significant part of that information is manifestly inaccurate”.

Such evidence may be provided by a court decision against the website operator or by other appropriate evidence showing that the information is manifestly inaccurate.

 

What is important for the consideration?

However, even in the case of incorrect information, the weighing of fundamental rights does not automatically favour the applicant – especially not if the post can contribute to a debate of general interest. According to the CJEU, the right to freedom of expression and information has a special significance.

Regarding content providers, the more recent rulings of the highest courts, such as the European Court of Human Rights (ECHR), differentiate and also take into account the possibility that individual personal details (e.g., names) in press reports that can be accessed online may subsequently have to be blacked out. This is because the dissemination and searchability of information on the internet is particularly distressing for those affected. Therefore, it must be determined on a case-by-case basis how high the public interest in individual pieces of information (still) is. Search engine operators must  take these considerations into account, too.

 

How do I assert a right to be forgotten?

The easiest way for data subjects to assert their right to be forgotten is to use the online forms provided by the search engine operators for this purpose, for example https://reportcontent.google.com/forms/rtbf.

The Hamburg Commissioner for Data Protection and Freedom of Information (HmbBfDI) exercises data protection supervision over the search engine operator Google.

 

Decisions

FCJ, decision of June 4, 2024 (II ZB 10/23, para. 39)

ECJ, judgment of 04.10.2024 (C-200/23)

BGH, judgment of 27.02.2018 (VI ZR 489/16, para. 36)

BGH, judgment of 27.07.2020 (VI ZR 405/18)

ECJ, judgment of December 8, 2022 (C-460/20)

ECHR, judgment of July 4, 2023 (57292/16)