Supergrundrecht Datenschutz? Ein Faktencheck
Supergrundrecht Datenschutz? Ein Faktencheck
Seit der Geltung der europäischen Datenschutzgrundverordnung und gerade auch seit Beginn der Corona-Pandemie werden immer wieder öffentliche Diskussionen über Sinn und Zweck des Datenschutzes geführt. Dabei geht es um die grundsätzliche Frage, ob der Schutz von Rechten und Freiheiten der Bürgerinnen und Bürgern in seiner derzeitigen Form adäquat ist.
Anlässlich eines in der Ausgabe des Hamburger Abendblatt vom 21./22.11.2020 publizierten Meinungsbeitrags mit dem Titel „Supergrundrecht Datenschutz?“ gilt es, vor diesem Hintergrund den Faktencheck durchzuführen, um Tatsachen von bloßen Behauptungen zu trennen. Auf diese Weise mag es gelingen, eine versachlichte Basis für die öffentliche Diskussion zu erzeugen.
„Überall werden wegen der Corona-Pandemie Grundrechte eingeschränkt - mit einer Ausnahme“ Dass derzeit überall in Grundrechte eingegriffen wird, nur nicht in das Grundrecht auf Datenschutz, ist in dieser Pauschalität falsch. Einschränkungen des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung finden derzeit massenhaft statt: Zur Datenübermittlung und -speicherung bei der Nachverfolgung von Infektionsketten sowie bei der Meldung von Infizierten und Personen, die aus Risikogebieten einreisen. Zudem besteht die Pflicht aller Menschen, bei Aufsuchen von Einrichtungen des täglichen Lebens stets ihre Kontaktdaten zu hinterlassen. Bei Attesten für die Befreiung von der Maskenpflicht ist durch den Arzt eine Diagnose über den Gesundheitszustand des Betroffenen anzugeben. Neue gesetzliche Einschränkungen des informationellen Selbstbestimmungsrechts wurden gerade in der letzten Woche durch den Bundesgesetzgeber aufgenommen (siehe hier).
„Deutschland hat sich für 69 Millionen Euro eine tolle Corona-Warn-App geleistet - sie ist so sicher, dass sie leider in dieser zweiten Welle wertlos ist.“ Die Kosten der Corona App sind zutreffend angeben. „Wertlos“ ist allerdings die Corona App nicht: Sie ermöglicht den Menschen, sich risikoadäquat zu verhalten und insbesondere Kontakte zum Schutz anderer zu vermeiden. Gerade ihre Sicherheit und das berechtigte Vertrauen der Nutzenden in den Datenschutz hat ganz wesentlich dazu beigetragen, dass sie bislang über 23,2 Millionen-mal heruntergeladen wurde (siehe hier).
„So sollte kürzlich in Hamburg ein KI-Forschungsprojekt zu Corona aufgelegt werden, das an den steuerfinanzierten Bedenkenträgern scheiterte. Das Projekt wird nun im Ausland weitergeführt. Die Liste abstruser Eingriffe der Datenschützer ist längst so lang, dass man darüber endlich diskutieren muss.“: Es ist völlig unklar, um welches KI-Forschungsprojekt es sich hier handeln soll und wo und wann ein solches in Hamburg angeblich verhindert wurde. Trotz eines Schreibens an die Redaktion des Hamburger Abendblattes ist bislang hierzu wie auch zu anderen Punkten keine Klarstellung erfolgt.
„Unvergessen, wie der Hamburger Datenschutzbeauftragte die Polizeiarbeit nach den G-20-Krawallen behindern wollte und allen Ernstes forderte, die Fahndungsdatei zu Gewalttätern zu löschen.“ Es ist die gesetzliche Aufgabe einer jeden Aufsichtsbehörde, die Regelungen des Datenschutzes - auch gegenüber der Polizei – zu kontrollieren und die Rechte und Freiheiten zu schützen. In dem Zusammenhang die Absicht der Verhinderung der Strafverfolgung zu unterstellen, spricht für sich selbst. Die Forderung nach der Löschung von Fahndungsdaten von Gewalttätern wurde zudem nie erhoben. Die Anordnung betraf stattdessen die Löschung der biometrischen Profile von in der Masse gerade völlig unbescholtenen Passanten, die in der Öffentlichkeit zusammengezogen und gesammelt wurden, um einen biometrischen Referenzdatenbestand zu erzeugen. Dieser war in Deutschland einzigartig und wurde von der Polizei Hamburg bereits gelöscht. Der Fall liegt vor dem OVG Hamburg und hat noch keine abschließende Entscheidung gefunden.
„Die elektronische Patientenakte verhinderten Datenschützer mit dem Hinweis auf möglichen Missbrauch - dass die Akte Leben retten kann, wenn ein Notfall ins Krankenhaus kommt? Nicht so wichtig.“ Die elektronische Patientenakte ist gesetzlich geregelt und wird derzeit umgesetzt. Dass diese durch die Datenschützer verhindert wurde, ist falsch. Dies war auch nie deren Anliegen. Richtig ist, dass es derzeit Kritik an der Umsetzung gibt. Die Datenschützer haben sich in der Vergangenheit dafür stark gemacht, dass die elektronische Patientenakte eine sichere technische Umsetzung erfährt und die Patienten Kontrolle darüber ausüben können, wer welche Dokumente darin einsehen kann. „Der grüne Tübinger Bürgermeister Boris Palmer wollte Informationen über straffällige Asylbewerber sammeln, um diese konkret in den Blick zu nehmen. Die Datenschützer untersagten es.“ Das ist zutreffend, sagt aber nichts über die Rechtmäßigkeit der Untersagung aus. Datenschutz setzt mitunter Regeln, die durch Behörden – auch zugunsten von Asylbewerbern - eingehalten werden müssen.
„Es waren auch deren Bedenken, die lange verhinderten, Kindergeldbetrug durch kriminelle Clans aufzudecken.“ Tatsächlich ist diese Fragestellung in NRW aufgeworfen worden und hat dort zu einem standardisierten Verfahren des Datenabgleichs geführt. Einzelheiten zum Verlauf der Debatte vor Ort sind nicht bekannt.
„… die [Datenschützer] hatten in Hamburg im Sommer gleich die Gastronomen überprüfen lassen. Wo Listen offen auslagen, gab es Ärger, im Wiederholungsfall auch Bußgelder. So macht man Not leidenden Unternehmern das Leben schwer - und es Micky Maus und Darth Vader umso leichter.“ Neben Aufklärungskampagnen hat die Aufsichtsbehörde in der Tat Vor-Ort-Kontrollen durchgeführt. Lediglich in drei Einrichtungen wurden bisher eher symbolische Bußgelder in Höhe von jeweils 50 bis 100 Euro verhängt. Datenschutz und Infektionsschutz gehen Hand in Hand: So gab es zahlreiche Beschwerden zu offen ausliegenden Kontaktdatenlisten, etwa zu Missbräuchen hinterlegter Telefonnummern durch Flirt-Anrufe von Fremden. Restaurantbesucherinnen und -besucher müssen darauf vertrauen können, dass ihre Daten sicher verwahrt werden, wenn sie ihre korrekten Namen und Telefonnummern hinterlassen.
Hierzu Prof. Dr. Johannes Caspar, der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit: „In großen Teilen hält der Beitrag dem Faktencheck nicht stand. Recherche ist ein unverzichtbares Instrument journalistischer Sorgfalt. Zentrale gesellschaftliche Fragen, wie der Schutz der Menschen im Zeitalter der Digitalisierung, lassen sich nur auf der Basis von Tatsachen beantworten. Anderenfalls werden rationale Bewertungen durch Vorurteile und Unterstellungen ersetzt.“
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