Einführung der automatisierten Gesichtserkennung beanstandet

Keine Rechtsgrundlage für die Erstellung von biometrischen Gesichtsabdrücken durch die Polizei Hamburg ersichtlich

Der HmbBfDI hat nach umfassender Prüfung den Einsatz eines Verfahrens der automatisierten Gesichtserkennung durch die Polizei Hamburg als datenschutzwidrig beanstandet.Der Beanstandung liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Anlässlich des G20-Gipfels hatte die Polizei Hamburg Bild- und Videomaterial von insgesamt 100 Terabyte zur Verfolgung begangener Straftaten erhoben. Davon wurden zunächst 17 TB in einer Datenbank zusammengeführt. Das Material stammt aus gänzlich unterschiedlichen Quellen: Über die Dauer von z.T. mehr als vier Tagen wurden im Verlauf des G20-Gipfels die Videoaufnahmen aus verschiedenen S-Bahnhöfen entnommen, es wurden private Personen aufgefordert, über ein Portal eigene Bild- und Videodateien hochzuladen, ferner wurden eigene Aufnahmen der Polizei sowie Bilder aus der Berichterstattung in den Medien hinzugezogen.  

Durch den Einsatz der dafür eigens angeschafften Software „Videmo 360“ wurden ausnahmslos alle Gesichter von Menschen, die sich auf dem umfangreichen Video- und Bildmaterial befanden, biometrisch verarbeitet. Dabei wurden markante Punkte des menschlichen Gesichts durch die Software ausgelesen und als abrufbare und abgleichbare mathematische Modelle (sog. Gesichtstemplates) abgespeichert.  

Bei Vorliegen von tatsächlichen Anhaltspunkten, die auf die Begehung einer Straftat von bestimmten Personen schließen lassen, nutzt die Polizei den Datenbestand, um nach Bildern von Personen zu suchen. Das Verfahren ermöglicht dabei die Suche in zweierlei Richtung: nach unbekannten Personen, von denen lediglich Video- oder Bildaufnahmen aus den verschiedenen Quellen vorhanden sind, wie auch die Invers-Recherche nach namentlich bekannten Personen, von denen die Polizei bereits anderweitig über Bilder, jedoch keine von den  damaligen Gipfel-Ereignissen verfügt.  

Mit der automatisierten Gesichtserkennung wird in Hamburg damit eine neue Technologie im Echtbetrieb eingeführt, deren Einsatz die gesetzlich austarierte Balance zwischen informationeller Selbstbestimmung und staatlichen Eingriffsbefugnissen zur Strafverfolgung massiv zu Lasten der Privatsphäre von Bürgerinnen und Bürgern verschiebt. 

Die Technologie eröffnet Wege zur Fahndung und Überwachung von Personen, die das menschliche Auge bei Weitem nicht leisten kann. Dabei geht es vorliegend nicht um die ursprüngliche Erhebung von Videos oder Bildern durch die Polizei oder andere verantwortliche Stellen, sondern um die biometrische Vermessung aller auf dem umfassenden Bildmaterial enthaltenen Gesichter, ohne dass der weitaus größte Teil der Betroffenen durch eigenes Verhalten dazu Anlass gegeben hätte, und um die Speicherung dieser Daten für einen längeren Zeitraum als Referenzdatenbestand zum Abgleich mit bestimmten Personen.  

Kriminaltechnisch erschließt sich den Strafverfolgungsbehörden damit eine neue Dimension staatlicher Ermittlungs- und Kontrolloptionen. Überall dort, wo Bildmaterial des öffentlichen Raumes zur Verfügung steht, kann es künftig zu einer umfassenden Profilbildung von Menschen kommen: Standorte von einzelnen Personen können über länger zurückliegende Zeiträume rekonstruiert, Bewegungsprofile erstellt und Beziehungen zu anderen Menschen dokumentiert werden. Diese Informationen, etwa die Teilnahme an einer Versammlung, ermöglichen Schlüsse auf Verhaltensmuster und Präferenzen des Einzelnen. Die Verknüpfungsmöglichkeiten eröffnen vielfältige Nutzungsmöglichkeiten, die sowohl die grundrechtlich geschützten Geheimhaltungsinteressen des Betroffenen beeinträchtigen, als auch anschließende Eingriffe in seine Verhaltensfreiheit nach sich ziehen können.  

Nach intensiver rechtlicher Prüfung und Auswertung des Verfahrens ist der HmbBfDI zu dem Ergebnis gelangt, dass die Erzeugung von mathematischen Gesichtsmodellen einer unbegrenzten Anzahl von in der Masse verdachtslos erfassten Bürgerinnen und Bürgern im Stadtgebiet über den Zeitraum von zumindest mehreren Tagen und deren Speicherung für eine unbestimmte Zeit einer besonderen gesetzlichen Befugnis bedarf, die den Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht rechtfertigt. Weder Voraussetzungen und Umfang derartiger Verfahren biometrischer Massendatenverarbeitung sind derzeit gesetzlich bestimmt, noch gibt es Verfahrensregelungen, die den Schutz von Rechten und Freiheiten Betroffener gegenüber einer Erzeugung von Gesichts-IDs in verhältnismäßiger Weise näher festlegen.  

Dazu Johannes Caspar, der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit: „Wenn bereits die Häufung von Straftaten ausreicht, um den Ermittlungsbehörden nicht nur den Zugriff auf zahllose Bilddateien, sondern auch die zeitlich und örtliche nahezu unbegrenzte Auswertung biometrischer Identitäten von Tausender Unbeteiligter zu ermöglichen, vermittelt die Herrschaft über Bilder eine neue Intensität staatlicher Überwachungs- und Eingriffsbefugnisse, die hoch missbrauchsgefährdet sind. Im Rechtsstaat ist es Sache des Gesetzgebers, für derartige grundrechtssensible Eingriffe durch eingriffsintensive Instrumente klare inhaltliche Vorgaben wie auch Verfahrensgarantien für Betroffene zu formulieren. Es darf nicht allein der Einschätzung von Strafverfolgungsbehörden auf der Basis allgemeiner Grundsätze überlassen bleiben, biometrische Massendatenerhebungen zur Ermittlung von Straftätern durchzuführen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Einhaltung derartiger rechtsstaatlicher Grundsätze etwa bei der Rasterfahndung und sogar bereits für das automatische Scannen von Kfz-Kennzeichen eingefordert. Solange der Gesetzgeber davon absieht, klare Vorgaben für den Einsatz dieser Technologie zu formulieren, können entsprechende Maßnahmen nicht auf eine unspezifische Auffangkompetenz von Generalklauseln gestützt werden. Ich gehe davon aus, dass die Beanstandung dazu führt, dass der Einsatz dieses Verfahrens gestoppt wird und eine Löschung der ohne Rechtsgrundlage erhobenen biometrischen Daten erfolgt.”


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